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Annegret Gaßmann, M.A.
Dr. Thomas Grunau
Dipl.-Päd. Ina Schubert

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A. N. E. B.

Projekttitel

"Die Aushandlung von Notbetreuungsansprüchen im Elementarbereich am Beispiel Sachsen-Anhalts (A.N.E.B)"

Projektlaufzeit

01.03.2021 - 31.08.2021

Projektmitarbeiter_innen

Dr. Thomas Grunau (Projektleitung)

Annegret Gaßmann M.A.

Dipl. Päd. Ina Schubert

Kurzbeschreibung der Forschungsinhalte

Bisher gibt es kaum Untersuchungen, die sich mit dem ‘Wie?’ der Aus- und Verhandlung eines etwaigen Anspruchs auf einen Notbetreuungsplatz befassen. Obwohl es in den einzelnen Bundesländern verschiedene, scheinbar objektive Definitionen davon gibt, wer bspw. zur “kritischen Infrastruktur” oder zur “Risikolage” zählt, muss die Vergabe von Plätzen meist auf der Kitaleitungsebene entschieden werden. Es ist anzunehmen, dass über die Aus- und Verhandlung über einen Anspruch auf einen Kitaplatz auch weitere Aspekte, wie geschlechtsspezifische Zuschreibungen, das Definieren eines ‘Härtefalls’ oder die Reproduktion von Bildern ‘guter’ Elternschaft eine wichtige Rolle spielen. Die sich hieraus ableitende Forschungsfrage des Projekts lautet daher: Wie wird ein Anspruch auf „Notbetreuung“ in Kindertageseinrichtungen aus- und verhandelt?

Ausgangslage und Forschungsstand

Zum Verhältnis privater und öffentlicher Erziehungssphären
Im Übergang vom Wohlfahrts- zum sozialinvestiven Staat wandelte sich das dominante Muster von Kindheit von einer Familien- hin zur Bildungskindheit (Mierendorff 2010). Mittel dieses Prozesses der Institutionalisierung (früher) Kindheit ist die räumlich-zeitliche Strukturierung des Alltags: Gefördert und eingefordert wird von Familien die Nutzung pädagogischer Angebote außerhalb des familialen Binnenmilieus. Diese erzeugen „institutionalisierte Zeitregimes“ (Zeiher 2009: 115) und bringen dabei nicht nur Kindheit, sondern auch familiale Lebenswelten mit hervor. Der Übergang zur Bildungskindheit bringt zugleich wesentliche Veränderungen im Verhältnis privater und öffentlicher Erziehungssphären mit sich. Der Ausbau und die Professionalisierung des Felds der FBBE hat auf Seiten der (kollektiven) Akteur*innen zu einer Infragestellung der spezifischen Zuständigkeit von Eltern für die Entwicklung ihrer Kinder geführt. Das konzeptuelle Ideal der “Erziehungs- und Bildungspartnerschaft” als symmetrisches Verhältnis zwischen Fachkräften, Einrichtungsleitungen und Erziehungsberechtigten zum “Wohle” des Kindes wird in der Praxis u.a. wegen einer veränderten Autorisation pädagogischer Fachkräfte (Jergus & Thompson 2017) sowie einer in einer breiten pädagogischen Öffentlichkeit vorherrschenden Konvention der Familie als ‘Zulieferer’ für die pädagogischen Institutionen unterminiert (Betz et al. 2017).
‘Und dann kam Corona’
Im Zuge der politischen Maßnahmen zur Bearbeitung der Covid-19-Pandemie kam es zur Schließung vor- und nachmittäglicher Betreuungsangebote im Feld der FBBE. Innerhalb kurzer Zeit führten diese Maßnahmen zu einer Art Re-Familialisierung der (frühen) Kindheit. Je nach Bundesland wurde lediglich denjenigen Familien das Recht auf eine “Notbetreuung” eingeräumt, die im Bereich der sogenannten “kritischen Infrastruktur” tätig sind oder zu „Risikogruppen“ zählen. Gerade für die erste Phase der Pandemie (März-Mai 2020) existieren hierzu bereits erste Studien. Beschrieben wurde u.a., dass der plötzliche Wechsel von einer Kita- zu einer Betreuung im familialen Binnenmilieu sowohl für Kinder als auch deren Eltern eine erhebliche Belastung für das individuelle Wohlbefinden darstellten (exempl. Langmeyer et al. 2020). Aus der Perspektive einer ökonomisch orientierten empirischen Bildungsforschung wurde außerdem das Risiko eines ‘Lernverlustes’

Bisher gibt es kaum Untersuchungen, die sich mit dem ‘Wie?’ der Aus- und Verhandlung eines etwaigen Anspruchs auf einen Notbetreuungsplatz befassen. Obwohl es in den einzelnen Bundesländern verschiedene, scheinbar objektive Definitionen davon gibt, wer bspw. zur “kritischen Infrastruktur” oder zur “Risikolage” zählt, muss die Vergabe von Plätzen meist auf der Kitaleitungsebene entschieden werden. Es ist anzunehmen, dass über die Aus- und Verhandlung über einen Anspruch auf einen Kitaplatz auch weitere Aspekte, wie geschlechtsspezifische Zuschreibungen, das Definieren eines ‘Härtefalls’ oder die Reproduktion von Bildern ‘guter’ Elternschaft eine wichtige Rolle spielen. Die sich hieraus ableitende Forschungsfrage des zu fördernden Projekts lautet daher: Wie wird ein Anspruch auf „Notbetreuung“ in Kindertageseinrichtungen aus- und verhandelt?

Method(olog)ische Anlage

Theoretisch-methodologische Rahmung
Methodologisch orientiert sich das Projekt an der pragmatistisch-interaktionistischen Sozialtheorie (Strübing 2005). Aus einer relationalen Perspektive heraus wird das Soziale als ein Handlungsfluss konzipiert, dessen Strukturen Orientierung bieten, aber stetig reproduziert werden müssen. Soziale Ordnung wird demnach in einem prozessualen Sinne als Soziales Ordnen verstanden. Der Begriff der Aushandlung bietet hierfür eine Heuristik, sprachliche Arrangements innerhalb derartiger situativer Ge-gebenheiten zu analysieren (Strauss 1978).
Methodische Umsetzung
Auf Grund des aus dem Forschungsstand entwickelten Erkenntnisinteresse sowie der methodologischen Verortung des Projekts und der gegenwärtigen Corona-Schutzverordnung sollen digitale, leitfadengestützte Interviews mit Kita-Leitungen sowie Eltern aus Sachsen-Anhalt und Sachsen geführt werden. Zudem sollen die konkreten Elternbriefe, die die Akteur*innen verfasst/erhalten haben, als Gesprächsimpulse eingesetzt werden. In Orientierung an das Konzept des theoretischen Samplings sollen sowohl unterschiedliche Einrichtungen (Stadt/Land, Träger usw.) als auch unterschiedliche Gruppen von Eltern (mit/ohne Anspruch auf Notbetreuung sowie genutzte/ungenutzte Notbetreuung bei Anspruch) interviewt werden. Die Analyse der Materialien erfolgt in Anlehnung an die pragmatistisch-interaktionistische Variante der Grounded Theory. Im Zentrum stehen dabei die Methoden des Kodierens, Memo-Schreibens sowie minimale und maximale Vergleiche (Strauss 1994).

Zeitplan - Laufzeit März 2021 - August 2021

Tabelle ANEB

Tabelle ANEB

Tabelle ANEB

Literatur

Betz, T. et al. (2017): Partner auf Augenhöhe? Forschungsbefunde zur Zusammenarbeit von Familien, Kitas und Schulen mit Blick auf Bildungschancen. Gütersloh: Bertelsmann.

Jergus, K./Thompson, C. (2017) (Hrsg.): Autorisierungen des pädagogischen Selbst. Studien zu Adressierungen der Bildungskindheit. Wiesbaden: Springer.

Langmeyer, A. et al. (2020) Kind sein in Zeiten von Corona. Ergebnisbericht zur Situation von Kindern während des Lockdowns im Frühjahr 2020. URL: https://www.dji.de/fileadmin/user_upload/dasdji/news/2020/    DJI_Kindsein_Corona_Ergebnisbericht_2020.pdf.

Mierendorff, J. (2010): Kindheit und Wohlfahrtsstaat. Entstehung, Wandel und Kontinuität des Musters moderner Kindheit. Juventa: Weinheim und München.

Strauss, A. L. (1978): Negotiations. Varieties, Contexts, Processes, and Social Order. San Francisco, Washington: London: Jossey-Bass Publishers.

Strauss, A. L. (1994): Grundlagen qualitativer Sozialforschung. München: Fink.

Strübing, J. (2005): Pragmatistische Wissenschafts- und Technikforschung. Theorie und Methode. Frankfurt a.M.: Campus Verlag.

Wößmann, L. et al. (2020): Bildung in der Coronakrise: Wie haben Schulkinder die Zeit der Schulschließungen verbracht, und welche Bildungsmaßnahmen befürworten die Deutschen? In: Ifo Schnelldienst, 73, 9, S. 25-39. Online: https://www.ifo.de/DocDL/sd-2020-09-woessmann-etal-bildungsbarometer-corona.pdf.   

Zeiher, H. (2005): Neue Zeiten - neue Kindheiten? Wandel gesellschaftlicher Zeitbedingungen und die Folgen für die Kinder. In: Mischau, A./Oechsle, M. (Hrsg.): Arbeitszeit - Familienzeit - Lebenszeit. Verlieren wir die Balance. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften, S. 74-91.

Zeiher, Helga (2009): Ambivalenzen und Widersprüche der Institutionalisierung von Kindheit. In: Honig, Michael-Sebastian (Hrsg.): Ordnungen der Kindheit. Problemstellungen und Perspektiven der Kindheitsforschung. Weinheim und München: Juventa, S. 103–126.

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