Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

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Habilitationsprojekt

Praxen der Erkenntnisproduktion in der Erwachsenenbildungsforschung. Eine rekurrente Genealogie im Zeitraum von Mitte des 19. bis zum ausgehenden 20. Jahrhundert (Arbeitstitel)

Fragen zur Erkenntnisentwicklung sind fester Bestandteil der akademischen Disziplin Erwachsenenbildung. Als Teildisziplin der Erziehungswissenschaft wird sich spätestens mit der Akademisierung der Erwachsenenbildung mit den Bildungsreformen in den 1950er Jahren verstärkt mit der systematischen Entwicklung von Erkenntnis für die Anhäufung disziplinären Wissens beschäftigt. Das Nachdenken über Erkenntnisentwicklung in der Erwachsenenbildung setzt jedoch nicht mit ihrer Akademisierung ein, sondern lässt sich bis in die Anfänge der Aufklärung – wenn nicht sogar noch weiter – zurückverfolgen. Hier sei kursorisch auf philosophische, theologische, soziologische, erziehungswissenschaftliche usf. Diskurse zu verweisen, die in ihren jeweiligen Kontexten Fragen zur Erkenntnisentwicklung zur Erwachsenenbildung zum Thema machen.

Auch wenn Erwachsenenbildungsforschung – unabhängig davon, ob es sich in erster Linie um empirisch und/oder theoretisch legitimierte Erkenntnisse handelt – zum Inventar der Wissenschaft der Erwachsenenbildung gezählt werden kann, liegt »[a]ufgrund des ›jungen akademischen‹ Alters der Erwachsenenbildung […] noch keine umfassende erwachsenenpädagogische Wissenschaftsgeschichte« (Ciupke u. a. 2002, 25) vor, die sich u. a. der »Fragen der Theorieentwicklung vor 1933« (ebd.) widmete. Dass dies auch für die Zeit nach 1933 hinein konstatiert werden kann, ist zu betonen. Die Feststellung aus dem Forschungsmemorandum der historischen Erwachsenenbildungsforschung und die ergänzte Gegenwartsdiagnose werden als ein Indiz gewertet, an dieser Stelle ein Forschungsdesiderat zur Wissenschaftsgeschichtsschreibung zum Thema Erwachsenenbildungsforschung zu markieren. Auch knapp zwei Dekaden nach der Veröffentlichung des Forschungsmemorandums kann der Befund bestätigt werden, selbst wenn zwischenzeitlich Einführungen, Lehrbücher und vereinzelte Studien sich in historischer Perspektive der Forschung in der Erwachsenenbildung genähert haben.

Vor dem Hintergrund dieser skizzierten Ausgangslage widmet sich das avisierte Vorhaben den Praxen der Erkenntnisproduktion in der Erwachsenenbildungsforschung im Zeitraum von Mitte des 19. bis zum ausgehenden 20. Jahrhundert und fokussiert dabei differente Logiken der Wissensproduktion. Dabei geht es jedoch nicht darum, eine chronologische Aufzählung von Forschungsarbeiten in der Erwachsenenbildung zu leisten, sie anzuordnen und Entwicklungslinien nachzuzeichnen, sondern es wird mit dem Ansatz der Historischen Epistemologie eine rekurrente Genealogie entlang noch klärungsbedürftiger epistemischer Umbruchsituationen zu entwickeln versucht. Einsatzpunkt ist dabei die Reflexion auf die Praxen der Erkenntnisproduktion, d.h. die Rekonstruktion erwachsenenpädagogischer Erkenntnisgewinnung, -begründung und -revidierung. Dahinter steckt die Annahme, dass die Geltungsbegründung der Erkenntnisse in den Praxen der Erkenntnisproduktion selbst erfolgt. Der systematische Vorrang der Praxen im Vorhaben hebt letztlich darauf ab, den Formierungsprozess der Erkenntnisproduktion sichtbar werden zu lassen.

Mit der Historischen Epistemologie sind weiterhin zwei Aspekte verbunden, die für das geplante Vorhaben von Bedeutung sind: Es wird einerseitsdavon ausgegangen, dass die Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis einer Historizität und Kontextualität unterliegen (›kontigente Grundlagen‹) und andererseits, dass die (disziplinäre) Entwicklung von Wissenschaft und Akkumulation von Wissen und Erkenntnis sich nicht linear-evolutionär, sondern sich vielmehr diskontinuierlich-›revolutionär‹ vollzieht. Damit ist eine Auffassung von wissenschaftlichem ›Fortschritt‹ verbunden, die nicht teleologisch operiert, sondern Erkenntnisentwicklung ereignet sich vielmehr in Umbruch- und Übergangssituationen zwischen ›Paradigmen‹, ›Episteme‹, ›Stilen‹ usf. Derartige epistemische Umbruchkonstellationen aufzuspüren, herauszuarbeiten, abzugrenzen und sie genealogisch in Beziehung zu setzen, setzt sich daher entschieden von der Auffassung einer chronologischen Entwicklung ab.

In diesem Sinne erfüllt eine ›rekurrente Genealogie‹ noch eine weitere Funktion. Sie übernimmt nicht nur eine wissenschaftshistorische Rekonstruktion der Entwicklung der Forschung in der Erwachsenenbildung entlang der Sichtbarmachung und Markierung ›epistemischer Brüche‹ entfaltet, sondern entwirft zugleich eine Geschichte (›Genealogie als Kritik‹), die sich gewissermaßen mit dem Rücken der Zukunft zugewendet, fortschreibt (›Angelus Novus‹). Auf der Ebene der Praxen zur Erkenntnisentwicklung leistet das Forschungsvorhaben daher einen wichtigen Beitrag zur Grundlagenforschung für die Erwachsenenbildungswissenschaft. Denn mit der Markierung von ›epistemischen Häutungen‹ geht es zugleich darum, die ›historische Dimension‹ erwachsenenbildungswissenschaftlicher Forschung einerseits und die ›epistemologische Dimension‹ von Grundlagenforschung in der Erwachsenenbildung zu erneuern andererseits.

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