Habilitationsprojekt
Volksbildung als plurale Praxis. Arbeiten zu einer kontingenzsensiblen Empirie der Institutionalisierungsformen des Lernens Erwachsener (Arbeitstitel)
Für die rezente Erwachsenenbildungswissenschaft stellt die »Wahrnehmungsbeschränkung« der Historiografie der Erwachsenenbildung auf die Weimarer Zeit ein »Erkenntnishindernis« dar, versperrt sie doch den Blick auf die Pluralität und den Reichtum des Lernens Erwachsener im Volksbildungswesen vor der Weimarer Zeit, das als Irritationspotential und als historischer Vergleich für die Vielzahl gegenwärtiger Institutionalisierungsformen des Lernens zu sensibilisieren vermag. Die historiografische Überblendung der pluralen Praxis der Volksbildung im Deutschen Kaiserreich führt bei eingehender Betrachtung zu zwei problematischen epistemischen Effekten: zunächst erweist sich die Dominanz der selektiven Historiografie der sog. »Neuen Richtung«, die die als »Alte Richtung« verbrämte Volksbildung vor der Weimarer Zeit mit einem Schleier volksbildnerischer Unbedeutsamkeit überzog, als ein epistemologisches Hindernis innerhalb der Erwachsenenbildungsgeschichtsschreibung. Darüber hinaus hat die fast ungebrochene Rezeption und Tradierung des historiografischen Verständnisses der Neuen Richtung für die rezente Erkenntnisproduktion der Erwachsenenbildungswissenschaft epistemologisch problematische Effekte, wirkt doch die tradierte historiografisch verengte Erfahrungsbasis der Neuen Richtung als Referenz untergründig in den Diskursen der Erwachsenenbildungswissenschaft fort.
Die Revisibilisierung der pluralen Praxis der Volksbildung im Deutschen Kaiserreich ist damit Einsatzpunkt, das Erkenntnishindernis zu überwinden. Vor dem Hintergrund einer kontingenzsensiblen und historisch-vergleichenden Empirie des Pädagogischen, die sich in Einzelfallstudien unterschiedlichen Institutionalformen des Lernens Erwachsener im Deutschen Kaiserreich annähert, wird dem Einsatz der Untersuchung stattgegeben, ein noch immer im Vergangenen schlummerndes Potential für als Vergleichshorizont zu erschließen und für Forschungsfragen der Erwachsenenbildung und Weiterbildung in seiner Breite fruchtbar zu machen. Insofern erlangt der historisch-epistemologische Zugang der Untersuchung einen besonderen Stellenwert, als dass Historiografie der Erwachsenenbildung nicht bloße Erinnerung meint, sondern Konstruktion und »Eingedenken« für ein vertieftes Verständnis der rezenten Erwachsenenbildungswissenschaft und der Erwachsenenbildung und der Reflexion kommender Entwicklungsaufgaben und gesellschaftlichen Herausforderungen.